«Graue Emissionen im Bausektor rücken vermehrt in den Fokus der Baubranche und der Investoren»
Am 8. Dezember 2023 fand mit der Erstaustragung des Schweizerischen Symposiums für Graue Emissionen im Bausektor, der letzte energie-cluster.ch-Event in diesem Jahr statt. Er wurde im altehrwürdigen Rathaus des Kantons Bern durchgeführt und zeigte auf, dass das Thema der «Grauen Emissionen» zwar noch nicht in aller Breite angekommen ist, aber von einer soliden Community, die zunehmend am wachsen ist, getragen und weiterentwickelt wird.
Am Freitagnachmittag haben im Rathaus 120 Gäste aus dem ganzen Bausektor am Symposium teilgenommen, darunter Kaderleute aus Bauunternehmungen, ArchitektInnen, Planer, Investoren, Vertreter von Generalunternehmungen, der öffentlichen Hand sowie Medienvertreter.
Mit einer Begrüssung durch Frank Schürch (Geschäftsführer, energie-cluster.ch) startete der Event um 13.30 Uhr im Rathaus Bern.
Markus Wüest (Bundesamt für Umwelt) stellte mit dem ersten Referat vor, wie der aktuelle Stand der grauen Emissionen ist, welche Definitionen aktuell sind und welche Regelungen heute gelten.
Pascal Bärtschi (Losinger Marazzi AG) übernahm direkt im Anschluss, zusammen mit Daniel Ducrey (Mobimo Management AG) das Zepter. Die beiden erklärten uns, vor welchen Herausforderungen die Branche steht und ihre damit verbundenen Ziele, die CO₂-Emissionen bis 2030 in ihren Betrieben massiv zu reduzieren. Die Weichen werden dabei bereits früh in der Planung gestellt, zum Beispiel mit dem Entscheid zum Erhalt versus Abbruch mit einem Neubau oder auch in der Wahl der Bauweise; mit Modulbau, der Systemtrennung und dem Leichtbau können graue Emissionen in der Folge massiv reduziert werden. Ein klimaverträgliches Gebäude muss sich auch nach seiner Lebensdauer bewähren. Gut erhaltene einzelne Bauteile sollten zukünftig, unter kleinstmöglichem Aufwand unbeschadet wieder ausgebaut und wiederverwendet werden können.
In nächsten Block wurden in mehreren Kurzvorträgen konkrete Lösungsansätze für das zukünftige Bauen erläutert. Was das genau heisst, erläuterte Remo Thalmann (Verein Countdown 2030). Dabei rücken auch unbequeme Wahrheiten mit der Verdichtung und Suffizienz ins Zentrum und seiner Aussage «Der Nachkriegstraum vom Häuschen für alle und zwei Autos pro Haushalt ist nicht zukunftsfähig».
Im folgenden Referat stellte uns Marc Bätschmann (Leiter der Innovationsgruppe CO₂-neutraler Gebäudepark des energie-cluster.ch) die Aktivitäten seiner Innovationsgruppe vor, die den Schweizer Gebäudepark mit Netto Null CO₂-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus betrachtet (Erstellung, Betrieb, Instandhaltung und Rückbau) und zum Ziel hat. In diesem Kontext wird aktuell die Best-practice-Plattform «aus alt mach neu» um die Thematik der Grauen Emissionen erweitert.
Im Zentrum der Kreislauffähigkeit steht die Wiederverwendung und das Recycling von Baumaterialien. Dr. Peter Richner (EMPA) präsentierte uns dessen Potential und die Möglichkeiten, wie dieses genutzt werden kann. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang die neue Charta Kreislauforientiertes Bauen, welche durch die EMPA mit 12 Partnern aus der Wirtschaft und der öffentlichen Hand realisiert wurde.
Direkt im Anschluss ging es weiter mit der Verwendung von Beton. Beton ist nach Wasser der meist verwendete Stoff weltweit und in der Schweiz für 6% des CO₂-Ausstosses verantwortlich. Clemens Wögerbauer (Holcim Schweiz) erläuterte in seinem Referat die Anstrengungen und Projekte von Holcim zur Erreichung des Netto-Null-Absenkpfades bis 2050.
Als Ausgleich zu Beton und Zement präsentierte uns im Anschluss Urs-Thomas Gerber (Professor für nachhaltiges Bauen an der Berner Fachhochschule) das Potenzial von Leicht- und Holzbauweise zum Erreichen von Netto Null. Der Betoneinsatz muss reduziert und vermehrt durch Holz realisiert werden. Der Marktanteil von heute 5% kann und muss in den nächsten Jahren durch eine effizientere Holznutzung und das Etablieren einer zirkulären Holzwirtschaft auf 20% erhöht werden.
Neben diesen Lösungsansätzen standen vor allem auch die beiden Leuchtturmprojekte HORTUS und ALTE SCHMITTE im Fokus. Dr. Johannes Eisenhut (Senn Development AG) präsentierte mit HORTUS das neue Bürogebäude mit 10'000 m Nutzfläche in Allschwil, welches einen neuen Standard in der Nachhaltigkeit setzt: Es zahlt die graue Bauenergie zurück und ist nach 30 Jahren energiepositiv. Die ALTE SCHMITTE ist eine klimapositive Plusenergie-Siedlung, wie uns Fabrice Bär (Giuseppe Fent AG / Lucido Solar AG) in seinem Referat erklärte. Durch die effiziente Gebäudehülle, das Energiekonzept und die Photovoltaikanlage wird ein PEB-Faktor von 400% erzielt. Selbst im Winterhalbjahr beträgt dieser noch 185%.
Vor der Pause wurde den Teilnehmenden durch Anita Naneva (Fachhochschule Nordwestschweiz) das Tool green-BIM vorgestellt, Ziel des Programms ist es, Architektinnen und Architekten und Planenden BIM-Anwendungen zur Verfügung zu stellen, die es ermöglichen, Nachhaltigkeitsaspekte innerhalb ihrer gewohnten Planungsumgebung einach und schnell zu bewerten und zu optimieren.
Direkt nach der Pause fand in mitten des Grossratssaals und der anwesenden Teilnehmer das Interview im «Grünen Sessel» mit Peter Richner (EMPA) statt. Dieses wird im März 2024 veröffentlicht und auf der Webseite des energie-cluster.ch online gestellt.
Abgeschlossen wurde der Referatsteil mit einem spannenden Diskussions-Panel mit Ueli Nyffenegger (Amtsvorsteher AUE Kanton Bern), Dr. Johannes Eisenhut (CEO Senn Development AG), Barbara Schaffner (Nationalrätin GLP), Dr. Peter Richner (stellv. Direktor EMPA), Prof. Urs Rieder (Präsident SIA Fachrat Energie) und Marianne Stähler (Geschäftsleiter von ecobau) bevor die Veranstaltung dann mit einem Apéro und vielen Gesprächen in der Rathaushalle endete.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Thema Graue Emissionen immer breiter auf Interesse stösst. Leider gibt es aktuell erst wenige realisierte Projekte. Dabei ist das Potenzial sowohl bei Neubauten als auch im Bestandsbau riesig. In der Aus- und Weiterbildung und bei den kommenden Generationen längst als wichtiger Bereich zur Erreichung der Klimaziele auf den Weg zu Netto-Null erkannt, wird die Thematik in der Architektur, Planung und auch bei Baufirmen aufgrund vieler Unklarheiten und oft fehlendem Know-how mehrheitlich noch sehr stiefmütterlich behandelt. Die ständig wachsende Community ist daran, dies aufzubrechen und die grauen Emissionen in ihren Bauprojekten konkret zu thematisieren. Entscheidend wird aber sein, dass sowohl die technischen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in den nächsten Jahren dafür verbessert werden, damit das riesige Potenzial auch nur annähernd realisiert und die Klimaziele mit Netto-Null erreicht werden können.
Man ist sich einig: Das Thema ist wichtig und muss intensiv diskutiert und weiterentwickelt werden und dazu soll auch der Rahmen dieses Symposiums genutzt werden.
Das 2. Schweizerische Symposium «Graue Emissionen im Bausektor» wird bereits vor der nächsten Wintersession 2024, voraussichtlch im November 2024, im Rathaus des Kantons Bern stattfinden.
Einen grossen Dank gilt allen Unterstützenden und Teilnehmenden.
Wir freuen uns auf das nächste Symposium gemeinsam mit Ihnen.