«Um die Reduktion grauer Emissionen voranzutreiben, sind neben Herstellern auch Bauherrschaften, Planerinnen und Architekten gefragt»
Interview Katrin Schneeberger Doktorin in Wirtschaftsgeographie, Direktorin des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) Referentin am 2. Symposium Graue Emissionen im Bausektor vom 7. November 2024
Bei der Herstellung von Baustoffen entstehen Treibhausgasemissionen. Weitere kommen bei der Errichtung, der Instandhaltung und dem Rückbau von Bauwerken hinzu. Diese Grauen Emissionen belasten die Klimabilanz. Das vom energie-cluster.ch organisierte und betreute 2. Symposium Graue Emissionen im Bausektor liefert zu diesem Thema aktuelles Wissen aus dem In- und Ausland, inklusive praktische Beispiele und Lösungen. Es findet am Donnerstag, 7. November 2024, im Rathaus Bern statt. Dr. Katrin Schneeberger informiert in ihrem Referat über die politischen Rahmenbedingungen.
Welche Bedeutung hat die Bauwirtschaft in der Schweiz bei der Reduktion Grauer Emissionen?
Die Sektoren Bauen und Wohnen gehören zu den Bereichen, die am meisten Ressourcen erfordern. Entsprechend stark belasten sie die Umwelt. Wer nachhaltig bauen will, sollte darum nicht nur die Betriebsemissionen eines Gebäudes berücksichtigen. Entscheidend ist auch der Verbrauch an Baumaterialien. Denn je nachdem sind mit ihrer Herstellung grosse Mengen an grauen Treibhausgasemissionen verbunden, welche bei der Rohstoffgewinnung, Herstellung, Verarbeitung oder Entsorgung anfallen. Daher ist es wichtig, dass nach den Betriebsemissionen – diese sinken erfreulicherweise seit Jahren kontinuierlich – nun auch die grauen Emissionen reduziert werden.
Ist das Bewusstsein, dass vermehrte Anstrengungen nötig sind, in der Bauindustrie schon gut verankert? Müssen Sie sich mit kritischen Rückmeldungen aus der Bauindustrie zu diesem Thema auseinandersetzen?
Ich habe den Eindruck, dass viele Baustoffhersteller sich auf den Weg gemacht haben, um ihre Emissionen zu reduzieren. In den letzten Jahren wurden viele neue, emissionsreduzierte Baustoffe entwickelt. Zudem sind vielversprechende Start-ups gegründet worden und Initiativen zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft sowie Wiederverwendung von Bauteilen sind entstanden. Innovative Architekturbüros zeigen auf, dass bei der Planung viel herausgeholt werden kann, und private Bauauftraggeber haben sich bereits zum kreislauforientierten Bauen bekannt. Die neuen Produkte und Ansätze müssen nun im Markt aber auch nachgefragt und etabliert werden. Dass dies dem politischen Willen entspricht, hat auch die Volksabstimmung vom 18. Juni 2023 gezeigt, wo das Netto-Null-Ziel 2050 eine deutliche Mehrheit fand. Um die Reduktion grauer Emissionen voranzutreiben, sind nun neben den Herstellern sind auch Bauherrschaften, Planerinnen und Architekten gefragt.
Die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Umgang mit Grauen Emissionen sind noch diffus. Das war eine Erkenntnis des 1. Symposiums Graue Emissionen im Bausektor, das im vergangenen Jahr stattfand. Was passiert auf politischer Ebene?
Da läuft viel. Das Parlament hat seither auf Basis der Parlamentarischen Initiative 20.433 «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken » eine Überarbeitung des Umweltschutzgesetzes und eine Anpassung des Energiegesetzes beschlossen. Im Energiegesetz werden die Kantone neu beauftragt, Grenzwerte für die graue Energie bei Neubauten und bei wesentlichen Erneuerungen bestehender Gebäude zu erlassen. Parallel dazu wurde ressourcenschonendes Bauen neu ins Umweltschutzgesetz aufgenommen. Auf dieser Basis kann nun der Bundesrat Anforderungen festlegen, etwa an die Verwendung umweltschonender und rezyklierter Baustoffe und Bauteile, die Wiederverwendung von Bauteilen oder die Rückbaubarkeit von Bauwerken. Der Bundesrat wird voraussichtlich bis Ende Jahr über die Inkraftsetzung entscheiden. Danach kann mit der Umsetzung begonnen werden. Bei der laufenden Überarbeitung der Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich MuKEn werden bereits Grenzwerte für graue Treibhausgasemissionen vorgeschlagen.
Ein wichtiger Faktor zur Reduktion von CO-Emissionen ist die Wahl des Baustoffes. Generell gilt zum Beispiel Holz als kleinere Belastung bei den Emissionen als Beton. Was denken Sie, wie werden neue Kriterien bei den Präferenzen von Materialien die Bauwirtschaft und schliesslich die gebaute Landschaft verändern?
Wichtig ist, dass jede Baustoffgruppe ihre grauen Emissionen reduziert. Es gibt in allen Gruppen umweltfreundlichere und weniger umweltfreundliche Produkte. Ziel ist, dass prioritär die umweltfreundlichen Produkte möglichst flächendeckend eingesetzt werden. Ein limitierender Faktor ist die Verfügbarkeit der Ressourcen; nicht jedes Baumaterial ist in den gewünschten Mengen vorhanden. Daher ist es zentral, dass alle Baustoffe gemäss ihren Eigenschaften am richtigen Ort eingesetzt werden und dass man möglichst materialsparend baut.
Am 2. Symposium Graue Emissionen im Bausektor werden auch die Rahmenbedingungen speziell in Dänemark und im Überblick anderer Länder Europas vorgestellt. Was kann die Schweiz von anderen lernen?
Die Schweiz hat mit der Umsetzung der bereits erwähnten Parlamentarischen Initiative einen grossen Schritt vorwärts gemacht. Zudem fangen wir bei den Grenzwerten für graue Emissionen nicht bei Null an, sondern können auf bestehenden Grundlagen und Erfahrungen aufbauen. Nun kommt es darauf an, wie ambitioniert diese Grenzwerte und die weiteren Massnahmen zum ressourcenschonenden Bauen umgesetzt werden. Da macht ein Blick über die Grenze sicherlich weiterhin Sinn. Der Austausch untereinander ist wichtig, um gemeinsam vorwärtszukommen. Deshalb begrüsse ich es, dass energie-cluster.ch bereits das zweite Symposium zu diesem Thema durchführt.