2. Symposium Graue Emissionen im Bausektor: Rahmenbedingungen auf dem Weg, Bestellerkompetenz gefragt
Am 7. November 2024 fand im Rathaus Bern das 2. Symposium für Graue Emissionen im Bausektor statt. Im Mittelpunkt des Symposiums stand die graue Energie, die bei der Herstellung von Baumateralien und während der Bauphase entsteht.
Der Gebäudesektor ist für rund ein Drittel der gesamten CO₂-Emissionen in der Schweiz verantwortlich. Das Symposium lieferte einen aktuellen Überblick der Rahmenbedingungen, thematisierte praxisorientierte Lösungsansätze und diskutierte in einem spannenden Panel mit ExpertInnen aus der Architektur, dem Ingenieurwesen sowie der Politik, Wirtschaft und Verwaltung, wie die die CO₂-Belastung im Bausektor weiter gesenkt werden könnte. Über 120 Gäste haben sich am Symposium informiert und ausgetauscht.
Nach der Begrüssung der anwesenden Teilnehmenden durch Ulrich Nyffenegger, Vorsteher des Amts für Umwelt und Energie des Kantons Bern, und des Moderators Frank Schürch, Geschäftsleiter des energie-cluster.ch, wurde im ersten Themenblock zum Einstieg ein Überblick über die aktuellen Rahmenbedingungen durch Kathrin Schneeberger, Direktorin des Bundesamt für Umwelt, gegeben.
Graue Emissionen rücken immer stärker in Mittelpunkt. Der Fokus verlagert sich diesbezüglich immer mehr von den Betriebs-Emissionen hin zu den grauen Emissionen. Sie machen bei sehr energie-effizienten Gebäuden rund 50% der Emissionen aus, in manchen Fällen sogar über 90%. In der Diskussion ist zurzeit die Anpassung der folgenden zwei Rahmenbedingungen:
- Die Revision des Umweltschutzgesetzes und des Energiegesetzes wurde am 15. März 2024 durch das Parlament angenommen; die Inkraftsetzung läuft und ist grösstenteils auf Anfang 2025 geplant.
- In der Schweiz sind die Kantone verpflichtet, mit den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) Grenzwerte für die graue Energie von Gebäuden festzulegen. Die Vernehmlassung der MuKEn 2025 ist abgeschlossen. Die Vorgaben sollen bis 2030 nun in die entsprechenden kantonalen Gesetzgebungen einfliessen.
Wie es schneller gehen kann, zeigte das Referat von Professor Kai Kanafani, von der Aalborg University, aus Dänemark, einem Land mit Vorreiterrolle. Dänemark hat 2023 als erstes Land Grenzwerte für graue Emissionen eingeführt. Gebäude über 1'000 m2 dürfen seit 1. Januar 2023 maximal 12 kgCO2eq/m2/a verursachen. Und der Fahrplan für die nächsten Jahre steht und sieht voraus, dass die Grenzwerte im Zweijahresrhythmus bis 2029 weiter optimiert werden sollen.
Im anschliessenden Referat zeigte Jürg Schneider, Head of Service Unit Cirularity, pom+Consulting AG, den Stand der Massnahmen in der EU im allgemeinen und weiterer ausgewählter Länder in Europa auf. In der EU sollen die Emissionen mit dem europäischen Klimagesetz bis 2030 um mindestens 55 % gesenkt werden. Die EU-Länder arbeiten die entsprechenden Rechtsvorschriften aus, um dieses Ziel zu erreichen und die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Die einzelnen europäischen Länder sind hier teils sehr unterschiedlich unterwegs. Die folgende Grafik gibt einen Überblick:
Um sich auf das Thema rechtzeitigt und gut vorzubereiten, empfiehlt Jürg Schneider, den Bauherrschaften folgende drei Massnahmen:
1) Transparenz schaffen: Das Messen und Nachweisen gewinnt klar an Bedeutung, auch in der Erstellung von Gebäuden. Gebäudeökobilanzen (WLC) und Gebäuderessourcenpässe werden zum Standard. Gesetzliche Regulierungen (wie Taxonomy, oder CSRD) und Branchenstandards (wie GRI, GRESB etc.) entwickeln sich stark und auf verschiedensten Ebenen.
2) Entwicklungen verfolgen und antizipieren: Wer heute plant, fällt morgen allenfalls schon unter neue Regelungen und Grenzwerte.
3) Strategie definieren und Bestellerkompetenz aufbauen: Eigene Zielsetzungen im Bereich graue Emissionen strategisch definieren. Notwendiges Knowhow (Bestellerkompetenz) aufbauen, denn die technischen Anforderungen zur Erreichung zukünftiger Grenzwerte sind sehr anspruchsvoll.
Auch auf Seiten der SIA läuft einiges: Das Merkblatt SIA 2040 «Effizienzpfad Energie» wird durch die Norm SIA 390/1 «Klimapfad – Treibhausgas- und Energiebilanz von Gebäuden» ersetzt. Die Vernehmlassung ist abgeschlossen, die Publikation im Q1/2025 vorgesehen.
Dass die Emissionen im Betrieb eines Gebäudes immer unwichtiger werden, verdanken wir gemäss Gianrico Settembrini, Institut für Gebäudetechnik und Energie, HSLU Luzern, einer laufend optimierten Gebäudetechnik, sei dies im Bereich der erneuerbaren Energien, der Speicherung, bei energieautarken Gebäuden oder zum Beispiel bei Anergienetzen oder Erdsonden. In einem „guten“ Gebäudepark werden die Emissionen im Betrieb so immer unwichtiger (15-20%); mehr als 80% der Emissionen kommen aus der Erstellung.
Gemäss einer Studie der HSLU fallen in der Gebäudetechnik bei einem Haus die grauen Emissionen mit je ca. je 30% in den Bereichen «Elektro», «Heizung», «Lüftung» und 10% im Bereich «Sanitär» an. Wollen wir die Graue Energie / Treibhausgase deutlich reduzieren, sind neue Modelle unentbehrlich. Immer mehr wird dabei zirkuläres Denken wichtig oder vom Denken in Kreisen mit den 10R gesprochen.
Gianrico Settembrini hält zum Schluss als Konklusion zur Gebäudetechnik und Netto Null fest, dass die Gebäudetechnik bei der Dekarbonisierung des Gebäudeparks eine zentrale Rolle spielen wird, sich der Aktionsraum zwischen No-Tech (Dematerialisierung) und High-Tech (Energieproduktion und Speicherung) bewegen wird und massgebend für die Reduktion der Treibhausgasemissionen die frühe Phase der Projektplanung sein wird. Als Entscheidungs- bzw. Optimierungshilfe werden dafür Ökobilanzdaten der Gebäudetechnik in ähnlicher Form benötigt, wie sie für die Baumaterialien vorliegen.
Kreislaufwirtschaft / Grafik: M. King (HSLU) in Anlehnung an Grundlage BAFU
Adrian Henke ist Co-Founder und CEO des Startups vyzn AG aus Zürich mit der Mission,
Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zu vereinen. Die grauen Emissionen im Zusammenhang mit der Herstellung der Bauprodukte sind bislang im Bauen nicht reguliert. Dabei verursachen sie je nach Typologie und Bauweise zwischen 40 – 80% aller Emissionen im Lebenszyklus eines Gebäudes. Je höher zum Beispiel die Anforderungen an den Wärmeschutz sind, desto grösser ist der Aufwand an Ressourcen und verursachter Treibhausgasemissionen. Es gilt daher, zwischen ökologischem Aufwand und Nutzen die ideale Balance zu finden.
Eine frühzeitige Projektoptimierung macht den entscheidenden Unterschied aus: Erstellung, Instandhaltung und Rückbau sind die massgeblichen Grössen in der Ökobilanzierung. Eine einzige Aenderung im Plan hat unzählige Auswirkungen.Diese sichtbar zu machen, und alle Einflussfaktoren im Überblick zu behalten, ist der Challenge für das Startup vyzn.
Vyzn ist eine SaaS Lösung für gezielte Analysen und ganzheitliche Projektoptimierung in jedem Bauprojekt, und es lassen sich damit CO2 und Graue Energie berechnen und optimieren.
Michael Strauss, Leiter Produktionskontrolle, Jura-Cement-Fabriken AG, erwähnt in seinem Referat die Vorteile von Beton im Bausektor und fokussiert sich dann – dem Thema des Symposiums folgend - auf die CO2-Emissionen. Ziel der Jura-Cement-Fabriken AG ist es, CO2-Emissionen kurzfristig weiter zu reduzieren. Alle Prozesse in der Zementherstellung sind energieintensiv und verursachen auch CO2; der grösste Teil entsteht bei der Klinkerherstellung, dies ist mit der für die Herstellung notwendigen Brenntemperatur von ca. 1450°C und durch die Kalzinierung und Entsäuerung des Kalksteins verbunden. Die Frage ist nun also, wie kann man den Klinkergehalt im Zement reduzieren kann, ohne die Zement- und damit die Betonqualität negativ zu beeinflussen.
Einen Weg sieht Michael Strauss in der Wahl von kalziniertem Ton, das seiner Ansicht nach der Klinkerersatzstoff der Zukunft ist. Es ist der einzige Klinkerersatzstoff, den wir in der Schweiz haben, der reaktiv ist, der verfügbar ist und der qualitativ hochwertig ist. Er erlaubt es, den Klinkergehalt signifikant zu reduzieren und dadurch auch die CO2-Emissionen des Zements und schlussendlich des Betons zu vermindern.
Im Themenblock «Kurz-Pitches» werden anschliessend in Kurzreferaten innovative Lösungen bzw. Beispiele im Bausektor vorgestellt, die ohne grossen Anteil grauer Emissionen realisiert werden können.
Lukas Jann, von HKP Bauingenieure AG, präsentiert am Beispiel der Schulanlage Bäumlihof in Basel wie mit Reuse über 300 Betonfassadenelemente aufbereitet und wieder neu montiert werden konnten.
Hilber Götz, von Rematter AG, erläutert in seinem Kurzvortrag die Vorteile von regenerativen Bauelementen, robotergefertigt aus Holz und Lehm. Durch den Einsatz rezyklierbarer Materialien wie Vollholz und Lehm statt Beton erreichen die Produkte von Rematter beste Werte hinsichtlich Treibhausgasemissionen, grauer Energie und Umweltbelastung.
Andy Keel von Openly erläutert in seinem Kurz-Pitch, dass das Wichtigste auf dem Weg zu Netto-null-Gebäuden die Vermeidung von Emissionen ist. Denn netto null bedeutet immer, dass die Emission durch eine Kompensation auf "Null" kommt. Wird die Emission vermieden, so muss auch weniger kompensiert resp. eingespeichert werden. As simple as that. Am Beispiel des CO2-neutralen Mehrfamlilienhauses Openly in Widnau hat Andy Keel dies mit biogenen Baustoffen und kreativer Planung erfolgreich umgesetzt.
Wichtige Bestandteile des Symposiums waren zu dem das Diskussionspanel mit Jörg Dietrich (SIA Schweiz), Beat Kohler (Grossrat Grüne Kanton Bern), Ulrich Nyffenegger (AUE Kanton Bern), Katja Riem (Nationalrätin SVP), Marianne Stähler (ecobau) und Tobis Vögeli (GLP Schweiz) sowie der partizipative Austausch von Matthias Sulzer von der EMPA mit dem anwesenden Publikum.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Rahmenbedingungen im Bereich der grauen Emissionen mit der Revision des Umweltschutzgesetzes und des Energiegesetzes sowie der zwischenzeitlich erfolgten Vernehmlassung der neuen MuKEn auf dem Weg sind. Gefordert sind nun die Kantone für die Umsetzung bis Ende 2029 und unsere PolitikerInnen, dass das Thema in den Kantons- und Gemeindeparlamenten priorisiert behandelt wird.
Im finalen Gespräch mit dem Moderator Frank Schürch, wies Ulrich Nyffenegger, Vorsteher des AUE Kanton Bern, zudem darauf hin, dass zukunftsorientierte Investoren gefragt sind, insbesondere weil noch nicht alles vorgeschrieben ist. Es braucht viele gute, vorbildliche Projekte und Investoren die voran gehen. Der Kanton Bern helfe und unterstütze seinerseits, wo es möglich sei. Mittelfristig brauche es aber auch Mehrheitsfähigkeit, um das Thema der grauen Emissionen in der Politik weiterzubringen. Dies gehe uns alle an; jede Bürgerin und jeder Bürger dieses Landes habe die Möglichkeit, über Wahlen, aber auch als Mitglied in Vereinen und Organisationen, hier Einfluss zu nehmen. Der Druck muss von unten kommen und Mehrheiten in diese Richtung bringen.
Eine wichtige Erkenntnis der Gespräche des Symposiums und beim anschliessenden Apéro und Networking war auch, dass vielerorts noch die Bestellerkompetenz auf Seiten der Bauherren und Investoren fehle und diese gefördert werden müsse. Die Bauherren müssten im Ansatz über die Bedeutung des Themas informiert sein und wissen, was von den Fachleuten verlangt werden kann und wie vorzugehen ist. Auf der anderen Seite besteht auf Seiten der Architekten und Planenden noch ein Informations- und Akzeptanzdefizit in der Breite, was durch gezielte Information und Knowhow-Vermittlung verbessert werden muss.
Der energie-cluster.ch bleibt hier am Ball und wird diesen Weg mit der Vermittlung von News, Informationen sowie innovativen Lösungsansätzen und Beispielen zur Reduktion der grauen Emissionen im Bausektor begleiten.
Der Termin für das nächste, 3. Symposium Graue Emissionen im Bausektor, ist gesetzt: Es findet am 9. Dezember 2025, wiederum im Rathaus Bern, statt. Notieren Sie sich den Termin schon jetzt.